top of page

Zugsweihnacht

Sambia & Tansania 🇿🇲🇹🇿

Weihnacht im Tazara Train

Tunduma, Dezember 2023

Zugegebenermaßen war unser Plan von Anfang an etwas ambitioniert.

 

Wir wollen über Sambia relativ rasch nach Ostafrika wechseln, Weihnachten vielleicht schon an einem tropischen Strand in Tansania feiern. Da kommt uns ganz gelegen, dass China bereits in den 70er Jahren eine Zuglinie von den sambischen Kupferminen bis nach Dar es Salaam an der Ostküste Tansanias gebaut hat. Zweimal die Woche fährt ein Zug die 1800 Kilometer lange Strecke, da wollen wir mit.

 

Die Chinesen haben damals ein vollkommen überdimensioniertes, betonstrotzendes Bahnhofsgebäude in Kapiri Mposhi am sambischen Ende der Zuglinie gleich mitgeplant. Allerdings hat der kommunistische Prunkbau schon bessere Tage erlebt. Die Fenster sind verdreckt, blaue Farbe platzt von den Wänden, an der durchnässten Decke wächst der Schimmel.

 

Jetzt sitzen wir zwei Tage vor dem Heiligen Abend in der riesigen, leeren Wartehalle mitten im Nirgendwo im sambischen Busch und sind ein wenig verzagt. Wir wissen nicht recht, wie wir weiter vorgehen sollen: Vor fünf Minuten hat uns die Beamtin am Ticketschalter die Botschaft überbracht, dass bei unserer Reservierung ein Fehler passiert sei. Statt vier Zugtickets kann sie uns nur zwei Fahrkarten verkaufen. Der restliche Zug heute und der nächste in vier Tagen seien beide vollkommen ausgebucht.

„Weihnachten im Bus geht gar nicht!“, schimpfen Hedi und Mavie.

Auch wir haben wenig Lust auf eine mehrtägige Fahrt in einem überfüllten, stickigen Bus. Vernünftige Übernachtungsmöglichkeiten gibt es hier ebenfalls nicht, zurück in die sambische Hauptstadt Lusaka wollen wir nicht. Also schauen wir nochmals zurück zum Ticketschalter. Zu unserer Überraschung erklärt uns die Kartenverkäuferin etwas umständlich, sie habe telefoniert und jetzt tatsächlich bereits drei Plätze für uns. Wir sollen in einer Stunde wiederkommen.

 

Zeit haben wir ja genug. Vom Zug ist weit und breit noch nichts zu sehen, angeblich hat er bereits acht Stunden Verspätung. In unregelmäßigen Abständen fragen wir beim Schalter nach, mittlerweile haben wir uns mit der Fahrkartenverkäuferin fast angefreundet. Irgendwann hat sie uns tatsächlich vier Tickets gecheckt. Wir nehmen überglücklich die vier Kartondeckel in Empfang, die uns sehr an Fahrkarten aus unserer Kindheit erinnern. Jetzt heißt‘s nur noch warten auf den Zug.

 

Als am späten Nachmittag die Wolken aufbrechen und der Bahnsteig von Kapiri Mposhi in einem tropischer Regenguss ersäuft, zieht eine alte Diesellok polternd und kreischend einen Zug in die Station. Dann passiert nichts. Ein paar Stunden später beginnt jemand, die Wagons zu putzen. Wieder ein paar Stunden später dürfen wir einsteigen, und mit genau den vorhergesagten 8 Stunden Verspätung setzt sich unser Zug kurz vor Mitternacht mit einem Ruck in Bewegung. Tansania, wir kommen!

Den ersten Tag rollen wir gemächlich, aber stetig durch den sambischen Busch.

Wegen des Problems bei der Reservierung sind wir auf zwei Abteile aufgeteilt, was uns aber nicht weiter stört: Christa und Stefan sind mit einem Paar aus Lusaka im Abteil, die für ein paar Tage Urlaub nach Zanzibar ans Meer wollen. Hedi und Mavie sind bei zwei jungen sambischen Frauen im Nebenabteil untergebracht, die sie unglaublich cool finden. Die vier schnattern auf Englisch, lachen und singen gemeinsam Weihnachtslieder.

 

Laut Fahrplan sollten wir am 24. zu Mittag in Dar es-Salaam ankommen, Weihnachten am Strand haben wir allerdings bald einmal abgeschrieben. Dafür kommen wir viel zu langsam vorwärts. Der Zug schnauft und hüpft mit einem Höllenlärm polternd durch die Landschaft, recht viel schneller als 50 km/h werden wir dabei nicht. Alle paar Stunden halten wir für eine kleine Ewigkeit an Haltestellen im Busch, dann springen Arbeiter mit gelben „Engineer“ Westen vom Zug und bearbeiten mit Hämmern unser Fahrgestell. Hoffentlich geht das gut. Entlang der Strecke entdecken wir immer wieder entgleiste Güterwagons im Gebüsch liegen, etliche Radlager verrosten neben den Schienen.

 

Unser chinesischer Liegewagen ist auch schon etwas abgewohnt, Ventilator und Licht funktionieren nicht mehr, Fenster lassen sich nur mehr teilweise öffnen. Aber wir sind überglücklich, in einem Zug und nicht in einem Bus zu sitzen. Wir wandern einmal auf und ab, freunden uns mit den mitreisenden Sambiern an und schauen stundenlang beim Fenster raus. Im Speisewagen gibt es mit „Village chicken with rice“ zwar nur ein einziges Gericht, aber das schmeckt zum Glück uns allen. Wir freuen uns alle schon ein wenig auf eine besondere Weihnachtsfeier morgen im Abteil.

Am Vorweihnachtsabend halten wir am späten Abend an der Grenze.

Aus Sambia sind wir rasch raus gestempelt. Auf der tansanischen Seite läuft alles ein wenig chaotischer ab, aber um halb drei Uhr nachts können wir alle wieder in unsere Abteile klettern. Während wir einschlafen, wundern wir uns noch ein wenig, dass der Zug nicht gleich abfährt, aber das sind wir ja mittlerweile gewöhnt.

 

Stefan wird am 24. in der Früh als Erster wach. Wir stehen noch immer an der Grenze, ein weiteres Tropengewitter zieht gerade über den Zug hinweg. Leider ist unser Abteildach aber nicht ganz dicht, Stefans Schlafsack ist tropfnass. Zu allem Unglück macht jetzt auch der Schaffner eine Runde von Abteil zu Abteil, um alle Fahrgäste zu informieren, dass vor uns ein Güterzug entgleist sei, ein Container liege auf der Strecke. Er zuckt entschuldigend die Achseln. In ein paar Tagen wird es weitergehen. Vielleicht. Der Zug müsse geräumt werden.

Wir sind vollkommen fertig, Hedi ist zum Heulen.

Da uns nichts anderes einfällt, schauen wir einmal in den Speisewagen, um uns mit anderen Fahrgästen zu beratschlagen. Drei Italienerinnen, die in Lusaka für eine Hilfsorganisation arbeiten, bekommen die langen Gesichter von Hedi und Mavie mit und leisten Erste Hilfe: Sie haben kleine Nutella Packungen mit und retten so die verzweifelte Situation.

 

Keiner weiß so richtig, was jetzt zu tun ist. Die Sambier im Zug sind zwar auch unglücklich, nehmen die ganze Sache aber eher gelassen. Niemand regt sich auf, keiner schimpft. Wir erfahren von einem Gerücht, im Barwagen gäbe es in Kürze eine Ankündigung, worauf sich der gesamte Zug in der Zugmitte versammelt. Dann warten wir. Ein paar Sambier unterhalten sich und scherzen, sonst passiert nicht viel. Eine Viertelstunde vergeht, dann eine halbe. Plötzlich stehen alle wieder auf, verschwinden in ihren Abteilen und lassen uns ein wenig ratlos zurück.

 

„Habt ihr das nicht mitgekriegt?“, fragt uns eine Sambierin, als sie mitbekommt, dass wir nichts mitbekommen haben. Hä? Was? Nein, nicht so wirklich. „Die haben einen Bus organisiert und bringen uns auf die andere Seite der Unglücksstelle. Dort wartet der Gegenzug aus Dar auf uns!“

Wir können unser Glück über das kleine Weihnachtswunder kaum fassen.

Der gesamte Zug quetscht sich eine halbe Stunde später in einen alten, klapprigen Ersatzbus. Wir sitzen übereinander, hocken auf dem Boden, stehen am Gang, aber alle sind erleichtert, dass die Fahrt weitergeht. Unser Busfahrer nimmt im nächsten Ort gleich überschwänglich eine Rampe und fährt den Bus direkt auf den Bahnsteig, auf dem tatsächlich ein Zug steht!

 

Allerdings war wohl auch der Busfahrer ein wenig zu optimistisch. Es dauert noch bis zum späten Nachmittag, bis wir uns wieder in Bewegung setzen. Uns macht das aber alles wenig aus. Die neuen Wagon sind sogar um die Spur weniger grindig, Hedi und Mavie sind zudem den ganzen Nachmittag mit Weihnachtsvorbereitungen beschäftigt. Als es am Abend Zeit für die Bescherung wird, haben die beiden aus einer Plastikflasche und Buntpapier einen richtigen Christbaum gebastelt. Wir haben in Lusaka bereits heimlich eine goldene und silberne Glitzergirlande und Kekse besorgt, und so kommt richtig Weihnachtsstimmung auf, als wir im Abteil Stille Nacht singen und kleine Geschenke überreichen, während draußen vor dem Fenster der Regenwald an uns vorbeizieht.

 

Mit uns gemeinsam sind auch ein paar junge Deutsche mit im Zug, die gerade ein freiwilliges soziales Jahr in Sambia absolvieren. Sie haben uns für später noch zu einer kleinen Weihnachtsfeier im Barwagen eingeladen, wo Hedis und Mavies Christbaum nun sogar noch eine Lichterkette verpasst bekommt. Vollkommen zufrieden singen wir laut und falsch Weihnachtslieder, jemand liest eine Weihnachtsgeschichte, unsere Mädels teilen Zuckerl aus, die sie in goldenes Geschenkpapier eingewickelt haben. Es wird noch eine richtig ausgelassene Feier. Nicht nur uns taugt’s: Die paar Sambier, die mit uns mitfeiern, sind ebenfalls sehr begeistert und filmen die ganze Zeit mit ihren Smartphones das Spektakel der Ausländer.

 

Die restliche Zeit im Zug klappt dann genau so, wie wir uns das vorgestellt haben. Auf der tansanischen Seite verläuft die Strecke fast noch spektakulärer entlang von dicht bewaldeten Berghänge über Brücken hinweg und durch Tunnel hindurch immer weiter der Küste entgegen. Zum Schluss wird‘s zwar ein wenig schwül und nach 4 Tagen im Zug sehnen wir uns auch wieder nach einer Dusche, aber als wir mit mehr als 38 Stunden Verspätung in der Nacht zum 26. Dezember in Dar es Salaam einrollen, sind wir uns schon sicher, dass wir dieses Weihnachten so schnell nicht vergessen werden.

bottom of page