Leben mit dem
kalten Krieg
Südkorea 🇰🇷
Im Großstadtdschungel von Seoul
Seoul, Oktober 2017
Lange haben wir überlegt, ob wir mit der Fähre von China aus auf die koreanische Halbinsel übersetzen sollen. Letzte Woche hat Donald Trump sein Gegenüber Kim Jong-Un als „Little Rocket Man“ beschimpft, im chinesischen Fernsehen laufen Bilder von nordkoreanischen Raketentests. Die Stimmung scheint aufgeheizt. Trotzdem wollen wir uns unsere Reisepläne nicht so einfach von zwei Halbverrückten über den Haufen werfen lassen.
Nach einer kurzen Nachtfahrt klettern wir trotzdem mit einem etwas mulmigem Gefühl im südkoreanischen Hafen Incheon von Bord. Mit der U-Bahn geht’s in die nicht weit entfernte Hauptstadt Seoul. Sofort springt uns der Unterschied zu China ins Auge: Alles hier ist blitzblank geputzt, Schilder in verständlichem Englisch weisen den Weg, alle Durchsagen im Zug sind zweisprachig. Im U-Bahn Wagon ernten wir freundliche Blicke, aber keiner stürmt mehr auf uns ein, um ein Foto von den zwei Mädels mit den hellen Haaren zu machen.
Als wir im Zentrum aussteigen, spuckt uns die Rolltreppe in einer Häuserschlucht aus. Auf den hypermodernen Wolkenkratzern prangen überdimensionale digitale Tafeln, die das letzte Samsung Handy oder das neueste Kia Auto bewerben. Auf der Straße hupen die Stadtbusse, es herrscht reger Frühverkehr. Großstadtnormalität.
In großen Wassertanks schwimmt hier herum, was die Koreaner gerne verspeisen
Uns springt allerdings auch gleich der Wegweiser zum nächsten Bunker ins Auge. Kein Wunder, die Grenze zu Nordkorea ist keine 40 Kilometer entfernt, hunderte Raketenköpfe zeigen auf die Stadt. Im Fall eines Krieges sollen sich die 10 Millionen Einwohner von Seoul in den U-Bahn Tunneln der Stadt in Sicherheit bringen. In den Stationen gibt es überall verglaste Schränke mit Gasmasken samt kurzer Filmchen, wie sie im Ernstfall zu benutzen sind. Die Koreaner laufen achtlos daran vorbei, als sei das nicht ungewöhnlicher, als einen Feuerlöscher aufzustellen.
Und überraschenderweise vergessen auch wir die Bunker schnell. Seoul strahlt emsige Geschäftstüchtigkeit aus, die Energie geladene Stadt zieht uns rasch in ihren Bann. Schon nach ein paar Stunden verschwenden wir keinen Gedanken mehr an einen drohenden Krieg.
Wir lassen uns mit der Menschenmenge durch die vielen Fußgängerzonen treiben, in denen gerade der Sommerschlussverkauf gefeiert wird. An jeder zweiten Straßenecke tanzen lebensgroße Plüschtiger und -bären, die beiden Maskottchen der kommenden olympischen Winterspiele. Im Königspalast fotografieren wir kichernde Mädchen, die sich in traditionelle Tracht geworfen haben und mit Selfiestick bewaffnet durch die Palastgebäude schlendern. Wir machen Rast in einem der vielen netten Cafés und bewundern den revitalisierten Cheonggyecheon Fluss. Vor 10 Jahren wurde mitten in Seoul eine Stadtautobahn abgerissen, heute schlängelt sich an dieser Stelle eine grüne Parkanlage durch das Hochhäusermeer.
Sehr angetan sind wir von den vielen Fischrestaurants im Geschäftsviertel der Stadt. Unsere beiden Kinder, weil jedes Lokal gleichzeitig ein kleines Aquarium ist. In großen Wassertanks schwimmt hier herum, was die Koreaner gerne als Mittagssnack verspeisen: Alle möglichen Arten von Fischen, Krebsen, Muscheln, Oktopoden, Tintenfischen, Hummern, Shrimps und Garnelen. Aber auch Ausgefalleneres kommt auf den Teller: In einigen Becken entdecken wir Seegurken, Seesterne, Meeresschnecken und sogar Quallen.
Selbstverständlich sind auch wir Erwachsenen von den Tierchen begeistert. Frischere Meeresfrüchte haben wir noch nie gegessen. Kaum ist der Oktopus bestellt, wird er schon aus dem Becken gefischt, mit der Schere in Stücke geschnipselt, und auf einem Gaskocher direkt am Tisch gebraten. Dazu gibt’s Kimchi, in einer Ingwer-Chilipaste eingelegten Chinakohl. Hedi und Mavie bleiben einmal mehr beim Reis.
Hedi reckt ihren Kopf gebannt zum Himmel, Mavie rockt im Takt der lauten Musik
Wir sind rechtzeitig zum Seoul Streetart Festival in der Stadt. Am Abend stolpern wir beim Rathaus eher zufällig über eine der aufgebauten Bühnen, auf dem Rasen davor hat es sich eine bunt gemischte Menge bereits gemütlich gemacht. Als eine Band zu spielen beginnt, staunen wir nicht schlecht über das Spektakel, das jetzt geboten wird. Ein riesiger Kran schwenkt Akrobaten in gestreiften Anzügen über die Zuschauer. Hoch über unseren Köpfen beginnen sie am Seil hängend in luftigen Höhen scheinbar schwerelos zu schweben, zu tanzen, zu turnen. Hedi reckt ihren Kopf gebannt zum Himmel, Mavie rockt im Takt der lauten Musik. Eine ganze Stunde dauert die Show, die Seouler sind genauso begeistert wie wir.
Als sich alle auf den Weg nach Hause machen, kommen wir mit einem Koreaner ins Gespräch, der schon in Wien gearbeitet hat. Christa fragt ihn, was er von den aktuellen Spannungen zwischen den USA und Nordkorea hält. „Ach wisst ihr“, antwortet er, „das ist nur im Ausland ein Thema. Wir leben schon seit über 60 Jahren mit ständigen Drohgebärden aus Pyöngyang. Schaut euch nur um, wie die Leute hier feiern!“ Er macht eine ausschweifende Bewegung und zeigt auf die gut gelaunte Menge. „Außerdem“, fügt er hinzu, „ist Trump ein Geschäftsmann. Wenn er die Krisenstimmung anheizt, dann kaufen wir wieder seine neuesten Waffen.“ Dieser Erklärung können wir etwas abgewinnen. Wahrscheinlich ist Gelassenheit sowieso die einzig vernünftige Art, mit den beiden Spinnern im Norden und auf der anderen Seite des Pazifiks umzugehen.