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They know no fear

Australien 🇦🇺

Wandern in Westaustralien

Karijini Nationalpark, Juli 2018

„Endlich ein Wanderweg Stufe 5!“ Hedi steht glücklich vor der Infotafel beim Eingang zur Hancock Gorge, einer der vielen Klammen des Karijini Nationalparks. In Westaustralien sind sämtliche Wanderwege in fünf Schwierigkeitsgrade eingeteilt: Stufe 1 ist rollstuhltauglich, Stufe 2 wird für Familien mit Kindern empfohlen. Doch unsere Kinder finden derartige Spazierwege eher langweilig. Der Weg in die Schlucht, den Hedi und Mavie gerade hinunter hüpfen, ist schon mehr nach ihrem Geschmack. Die Hancock Gorge ist mit Stufe 5 auf den Tafeln als “very difficult” gekennzeichnet und für „highly experienced bush walkers only“ zu empfehlen: Nur sehr erfahrene Wanderer sollen sich ins unwegsame Gelände wagen.

 

Mittlerweile haben wir aber gelernt, die vielen Warnschilder in Australien zu ignorieren. Ein richtiger Tafelwald steht auch hier am Beginn des Weges: „Cliff Risk Area“, „Gorge Risk Area“, „Swim Risk Area“. Empfehlungen für eine sichere Wanderung sind aufgelistet. Insgesamt 12 Liter Wasser sollen wir für die 1,5 Kilometer mitnehmen. Stefan schüttelt den Kopf, der Fotorucksack ist auch so schon schwer genug. „Hast Du Dich mit Sonnencreme eingeschmiert?“ steht am nächsten Schild. In Australien ist die Mama praktisch bei jeder Wanderung mit dabei. Wir nicken, Zähne geputzt haben wir auch, es kann also losgehen.

Hedi, Christa und Mavie in der Hancock Gorge

Lautstark erklärt der Führer, wie gefährlich die Stelle sei

Eine kleine Leiter führt zum Schluchtboden hinunter, die roten Felswände steigen senkrecht empor. Während oben am staubigen Hochplateau nur stacheliges Spinnifexgras und ein paar knorrige Eukalyptusbäume wachsen, finden wir hier eine kleine Oase vor. Im Schatten ist es angenehm kühl, am Ufer des kleinen Baches wachsen Palmen und Farne.

 

Der Weg geht weiter in die Schlucht hinein, die Felswände rücken immer näher zusammen. Wir balancieren auf schmalen Felsbändern den Bach entlang, bald ist die erste Engstelle erreicht. Hier staut es sich, eine australische Tourgruppe kommt uns entgegen. Alle sind bestens ausgerüstet, die Teilnehmer klettern mit Neoprenanzügen und Canyoningschuhen unbeholfen durch den „Spiderwalk“ getauften Klammabschnitt. Alle grätschen ein Bein links und rechts auf den Felsen und hanteln sich Schritt für Schritt weiter, zwischen ihren Füßen rauscht der Bach. Der Tourguide ruft aufmunternde Worte und beäugt uns ein wenig abschätzig. Immerhin sind wir in Badehose und barfuß unterwegs. Bis alle durch sind vergeht eine halbe Ewigkeit. Lautstark erklärt der Führer seiner Gruppe, wie gefährlich die Stelle sei und wie viele er hier schon retten musste.

 

Haben wir unseren Kindern zu viel zugemutet? Christa schaut besorgt zu Stefan. Immerhin ist im Halbdunkel wirklich schwer abzuschätzen, wie tief der Bach hier rinnt. Einen Sturz ins tiefe kalte Wasser wollen wir mit Hedi und Mavie nicht riskieren. Christa beschließt, die Stelle einmal im Alleingang auszukundschaften. Prüfend lotet sie mit ihrem rechten Fuß die Tiefe des Baches aus und schaut erstaunt zu uns zurück: Das Wasser ist knöcheltief, der Fels rau und nicht rutschig, das bisschen Strömung sowieso egal. Die Füße umständlich links und rechts auf den Fels stemmen ist uns jetzt eindeutig zu mühsam: Hedi und Mavie sind im Nu im Bachbett durch den Spiderwalk hindurch gelaufen.

 

Wir klettern noch ein wenig weiter die Schlucht hinein, bis der Weg beim Kermit‘s Pool endet. Unglaublich schön ist es hier. Die Hancock Klamm wird so schmal, dass wir den Himmel über uns nicht mehr sehen. Vor uns plätschert der Bach über eine Felsstufe in ein kleines, türkisblaues Becken. Die Felswände schimmern im indirekten Sonnenlicht dunkelrot bis schwarz. Hinter dem Pool stürzt der Bach über Wasserfallkaskaden tiefer in die enge Schlucht hinein.

Straße in den Kimberleys in Westaustralien

Ah, mountain goats, meint er

Außer uns ist nur ein Australier hier. Anerkennend schaut er zu den beiden Mädels, der Weg war ja nicht leicht. „They know no fear, do they?“ fragt er. Wir müssen lachen. Nein, beim Wandern kennen die beiden keine Angst, immerhin sind wir ja aus Österreich. Der Australier schaut zufrieden, als würde das alles erklären. „Ah, mountain goats“, meint er. 

 

Während wir unsere Jause mampfen, quatschen wir ein bisschen. Über die vielen Schilder ist er auch nicht glücklich, erzählt er. Viel zu viele verließen sich heutzutage auf die Hinweistafeln anstatt des Hausverstands und würden keine Eigenverantwortung mehr übernehmen wollen. „Das war früher anders“, sagt er. Aber vor ein paar Jahren hat sich eine ältere Dame den Fuß in der Schlucht gebrochen und dann den Nationalpark verklagt. Seither wachsen auch hier die Warnschilder wie Schwammerl aus dem Boden.

 

Wie so oft ist es sehr nett mit den Australiern plaudern, doch Hedi und Mavie wollen wieder weiter. Wir verabschieden uns, denn die beiden spielen gerade Felskängurus und warten schon ein wenig ungeduldig darauf, dass sie die Klamm wieder hinaus aufs Hochplateau klettern dürfen.

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