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Reisealltagsgeschichten

Kambodscha 🇰🇭

Zugfahrt in Zentralkambodscha

Siem Riep, November 2003

Über den Dächern von Kompong Chnang dämmert es bereits, als wir früh am Morgen unser Moskitonetz im Hotelzimmer abbauen. Wir müssen früh los, denn wir wollen heute weiter in den Westen Kambodschas, und die Pickup Trucks vom Markt fahren nur zeitig in der Früh. Der Hotelmanager an der Rezeption verabschiedet uns verlegen, als wir auschecken. Auf seinem Schreibtisch türmen sich Kondompackungen, auf der sonst kahlen Wand hinter ihm hängt ein Safer-Sex Plakat. Das einzige Hotel des Dorfes dient gleichzeitig als Puff, doch die letzte Nacht war ruhig. Die Geschäfte müssen noch besser gegangen sein, als früher Soldaten einen Zwischenstopp auf dem Weg von der Hauptstadt Phnom Penh ins kambodschanisch-thailändische Grenzgebiet eingelegt haben, um in den Kardamonbergen und im dicht bewaldeten Norden des Landes die Reste der verbliebenen Khmer Rouge zu bekämpfen. Doch die letzten Verbände rund um den Verbrecher Pol Pot haben Mitte der Neunziger Jahre aufgegeben, und auch die Truppen der UNO, die danach den jungen Frieden überwacht hatten, sind ebenfalls bereits wieder abgezogen. Kambodscha gilt als sicher. Der Hotelmanager hofft nun auf den noch kleinen, aber stetig wachsenden Strom an Rucksacktouristen. Die besuchen aber fast ausschließlich nur die Hauptstadt Phnom Penh und die über tausend Jahre alten buddhistischen Tempelanlagen von Angkor Wat nahe der Grenze zu Thailand. In das kleine Provinznest Kompong Chnang in Zentralkambodscha verirrt sich kaum jemand.

Am Markt des Dorfes herrscht bei Sonnenaufgang bereits reges Treiben. Die ersten Gemüsefrauen haben ihre frischen Waren am Boden zum Verkauf auslegt, auf Holztischen wird Fleisch gestapelt. Wir nehmen uns diesmal aber keine Zeit für einen Rundgang, sondern steuern direkt zum Transport-Stopp am Rande des Marktes, denn von hier fährt der öffentliche Transport in die kleine Stadt Pursat und weiter in die westliche Provinzhauptstadt Battambang. Für die 270km lange Reise haben wir den ganzen Tag eingeplant: Kambodschas Straßen sind schlecht und meist nicht mehr als eine staubige Ansammlung von Schlaglöchern, ein Weiterkommen oft langsam und mühsam.

Christa auf der Ladefläche des Pickups

Auf der Ladefläche weht uns der Wind in den Haaren und juckt der Staub in den Augen

Als wir bei den wartenden Toyota Pickups ankommen, finden wir die Ladefläche eines Gefährts schon ziemlich voll besetzt. Normalerweise ein gutes Zeichen, denn dann sollte es eigentlich bald losgehen. Der Fahrpreis ist mit dem Fahrer schnell ausverhandelt, wir nehmen zwei billige Plätze auf der Ladefläche und quetschen uns zu den übrigen Fahrgästen. Wir können uns zwar kaum rühren, doch anscheinend ist unser Fahrer noch nicht der Meinung, genügend zahlende Mitreisende zu haben. Während wir also auf weitere potentielle Fahrgäste warten, vertreiben wir uns die Wartezeit, indem wir mit unseren mickrigen Khmer Kenntnissen auf der Ladefläche Alleinunterhalter spielen. "Hallo. Wie heißt Du?", fragt Christa einen kleinen Buben, der eingeklemmt zwischen Rüben und Erdäpfel am Boden hockt. "Wie alt bist Du? Eins-Zwei-Drei. Danke. Auf Wiedersehen". Mehr können wir nicht, doch die übrigen Fahrgäste sind begeistert.

Als sich unser Fahrzeug dann in Bewegung setzt, ist der kleine Pickup zum Bersten gefüllt. In der Fahrerkabine sitzen sieben Passagiere, drei davon in der ersten Reihe, wobei sich der Fahrer als vierter zwischen Lenkrad und Schoß eines Fahrgastes zwängt. Für uns ist es unerklärlich, wie er in dieser Position das Bremspedal erreicht. Auf der schmalen Rückbank dahinter quetschen sich vier Mönche in ihren orangenen Gewändern zusammen, während wir uns die Ladefläche mit 13 Khmer teilen. Unser Fahrer dreht noch eine kurze Runde und tankt bei einem Marktstand in Spriteflaschen abgefülltes Benzin, bevor wir schließlich auf die Landstraße nach Pursat abbiegen.

 

In den letzten Jahren haben ausländische Organisationen massiv in Kambodschas Infrastruktur investiert. Vor ein paar Tagen überquerten wir nördlich von Phnom Penh den Mekongfluss, wo die löchrige Schotterpiste abrupt endet und eine neue, von Japan spendierte Betonbrücke sich über den mächtigen Fluss spannt. Das thailändische Militär dagegen finanziert Straßenprojekte im unwegsamen Grenzgebiet und die USA asphaltierte kürzlich die Strecke zwischen der Hauptstadt und dem einzigen Tiefseehafen im Süden des Landes. Immerhin hat Kambodscha einige Rohstoffvorkommen, und die ausländischen Investoren erhoffen sich vom königlichem Klan im Gegenzug für ihre Großzügigkeit Schürfkonzessionen und Rodungsrechte. Unsere Strecke nach Pursat ist jedoch noch ungeteert und wohl kaum für das Tempo ausgelegt, mit dem unser Fahrer dahinbraust. Auf der Ladefläche weht uns der Wind in den Haaren und juckt der Staub in den Augen, als wir an saftig grünen Reisfeldern und hoch aufschießenden Zuckerpalmen vorbeiglühen. Im fliegenden Tempo überholen wir Ochsenkarren und weichen entgegenkommenden Mopeds mit lautem Gehupe im letzten Moment aus. Nicht nur wir, auch die zweirädrigen, klapprigen Motos sind hoffnungslos überladen: Papa, Mama und zwei Kinder halten sich oft gekonnt am Sitz. Einmal zählen wir sogar rekordverdächtige fünf Personen auf einem knatternden Zweirad, an dem wir vorbeirasen. Mit einem Affentempo brettern wir so die Schlagloch übersehte Piste dahin, wobei es uns bei jedem Loch gewaltig aushebt, und wir jedes mal wieder unsanft auf der harten Wand der Ladefläche aufschlagen. Die Khmer lachen dabei laut auf, kichern etwas von "Langnasen" und blicken wohlwollend zu uns herüber. Wir lächeln gequält zurück. Nach zweieinhalb Stunden klettern wir in Pursat fix und fertig mit blauem Hintern vom Pickup. Die ersten 90 Kilometer sind geschafft!

Junge an der Zuckerrohrpresse

Wir haben schnell einen besseren Sitzplatz gefunden: oben am Dach

Wir haben uns eine kleine Verschnaufpause verdient und kehren bei einem der vielen Straßenständen des Ortes ein. Kambodschas Küche ist vielseitig und von den Einflüssen der Kolonialzeit geprägt. So bekommen wir zum gebratenen Fisch französisches Baguette serviert und trinken dazu frisch gepressten Zuckerrohrsaft. Oft wird auch Exotischeres geboten: Als während des Terrorregimes der Khmer Rouge das Essen knapp wurde, wurden die Khmer erfindungsreich und begannen alles zu kochen und braten, was sich bewegt. In Phnom Penh hat Stefan schon gefüllte Frösche und gebratene Schlangen probiert, auch zum halb ausgebrüteten Küken-im-Ei konnte ihn eine Marktfrau überreden. Doch als uns gestern die Straßenverkäuferin in Snuol die für den Ort berühmte Delikatesse unter die Nase hielt, musste auch er passen. Ungläubig sahen wir mit an, wie der junge Mann neben uns gerade einer gebratenen Tarantel die Füße einzeln ausriss und das bißchen Fleisch aus den Gliedmaßen sog. Verschmitzt lachte er zu uns herüber, als er mitbekam, dass wir ihn anstarrten, und meinte lapidar: "Eat legs. Good! No eat body. No good!" Da schmeckt der heutige Fisch am Straßenstand eindeutig besser.

Gestärkt wandern wir die staubigen Straßen von Pursat entlang zum Bahnhof, denn für den Rest der Strecke wollen wir in den bequemeren Zug wechseln. Wir haben Glück: Heute fährt der einzige Zug des Tages in unsere Richtung, morgen würde er die Gegenrichtung wieder zurückkommen. Während wir am improvisierten Bahnsteig warten, schauen wir den Kühen zu, wie sie gemütlich im Bahnhofsgelände auf den Schienen grasen. Wir müssen uns nicht lange gedulden, denn schon kurz nach unserem Eintreffen rollt eine Diesellok im Bahnhofsgelände ein. Sie zieht drei Personen- und drei Güterwagen, wobei alle sechs offentsichtlich für Personentransport genutzt werden. Als Ausländer haben wir nur Erste Klasse Tickets kaufen dürfen, doch der Erste Klasse Wagon ganz vorne am Zug unterscheidet sich von den übrigen kaum in der Ausstattung: Holzbänke und glaslose Fenster sind überall Standard. Doch während unser Wagon noch halbwegs passabel aussieht, fehlt dem zweiten ein Teil vom Fußboden, dem dritten ein Teil vom Dach. In der billigsten Klasse – den Güterwagons – sitzen die Khmer am Boden.

Wir lassen uns den Komfort der Ersten Klasse dennoch entgehen, denn wir haben schnell einen besseren Sitzplatz gefunden: oben am Dach. Das Gepäck überlassen wir dem Schaffner, der es sich in einer Hängematte gemütlich gemacht hat, die er sich in eines der glaslosen Wagonfenster gespannt hat. Wir machen es uns über ihm bequem und beobachten das bunte Treiben am Dach. Ein Verkäufer balanziert seine Coladosen in einem fragilen Tragegestell an uns vorbei, Christa redet mit Armen und Füßen und einem kleinem Wörterbuch mit einer Einheimischen, Männer geben Zigaretten im Kreis, zwei junge Mönche unterhalten sich angeregt.

Die Aussicht von hier oben ist grandios. Langsam pflügt sich der Zug durch die ertränkte Ebene Zentralkambodschas. In den endlosen, überschwemmten Reisfeldern sprießen saftig grüne Setzlinge. Hirten gehen gemeinsam mit ihren zwei Kühen schwimmen, Kinder plantschen im braunen Wasser und winken begeistert, sobald sie den Zug erspähen. Immer wieder wechseln sich Felder und tropischer Monsoonwald ab, Zuckerpalmen ragen in den Himmel. Nach einer Zeit kommt auch der Schaffner aufs Dach und setzt sich zu uns. Er singt uns Volkslieder in Khmer vor, lernt mit uns Englisch, indem er die Zutaten einer Coladose vorliest, und lacht entschuldigend, wenn der Zug wieder einmal gefährlich von einer Seite zur anderen schwankt. Seit die Franzosen die Strecke in den 20er Jahren gebaut haben, ist wohl nicht mehr viel an den Gleisanlagen ausgebessert worden.

Die untergehende Sonne spiegelt sich rot im überschwemmten Land, als wir am Abend vom Dach hinunter in unseren Wagon klettern. In der Dämmerung schwirren Glühwürmchen beim Fenster aus und ein. Wir passieren Dörfer und Hütten, in denen Familien sich erschöpft von der Arbeit um ein Feuer oder um eine Kerze versammelt haben, tratschen oder Karten spielen. Oft liefert ihnen eine Autobatterie genügend Strom für einen Fernseher oder für eine Neonröhre, um die rastlose Schwärme von Mosquitos tanzen. Nach sechs Stunden und 180 km rollt unser Zug endlich spät in der Nacht im Bahnhof von Battambang ein. Es ist schon längst finster, als wir aussteigen und in der kleinen Stadt ein Hotel suchen. Wir sind von der langen Tagesfahrt ziemlich erschöpft, doch wie so oft in den letzten Monaten war bei dieser Fahrt der Weg ja das eigentliche Ziel.

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