Road Schooling
Österreich 🇦🇹
Zwischenstopp in Graz
Anfang Juni müssen wir für einen Zwischenstopp nach Graz.
Hedi und Mavie müssen ihre Externistenprüfung über das letzte Schuljahr ablegen. Auch wenn es für uns am Weg zum Nordkap diesmal nur eine längere Fahrtunterbrechung in der Steiermark ist, geht doch eine bedeutende Etappe der Reise zu Ende. In Wien überraschen uns Freunde am Bahnsteig, in Amstetten gibt es ein großes Wiedersehensfest mit beiden Familien. Wir sind heilfroh und glücklich, dass wir Stefans Oma in die Arme schließen können. Bei ihrem stolzen Alter war das nicht selbstverständlich, doch mit ihren 99 Jahren erscheint sie uns fit wie eh und je. Hedi und Mavie freuen sich riesig, dass sie wieder mit vielen ihrer Cousinen und mit einem Cousin spielen können, es gibt noch dazu allerorts Katzenbabies zu streicheln und zu pflegen. Die beiden sind sofort wieder im Hier und Jetzt angekommen.
Unsere Gemütslage ist schwer zu greifen. Wir sind total dankbar, dass wir bei Familie und Freunden so viel erzählen können und dürfen. So vieles ist im letzten Jahr passiert, so viele Eindrücke haben wir gesammelt, so viele Erlebnisse wollen wir schildern. Trotzdem - und das wissen wir bereits von früheren Reisen - bleibt das Erzählte anekdotenhaft. Es fällt schwer, das Lebensgefühl auf so einer Reise in Worte zu fassen oder ihm mit ein paar Geschichten auch nur annähernd gerecht zu werden.
Recht viel Zeit bleibt für derartige Überlegungen aber diesmal ohnehin nicht.
Für Hedi und Mavie starten nämlich Anfang Juni die Prüfungen, bei denen sie ihr Können unter Beweis stellen müssen. In den drei Hauptgegenständen Deutsch, Mathematik und Englisch gibt es schriftliche und mündliche Tests, in allen anderen Gegenständen nimmt eine Kommission eine mündliche Prüfung ab.
Die beiden sind gut vorbereitet. Im Rucksack sind sie ihre iPads verstaut, die sie von der Schule bekommen haben und auf denen sämtliche Schulbücher in digitaler Form gespeichert sind. Einige Lehrer stellen auch zusätzliches Unterrichtsmaterial auf die schulinterne Online Plattform. Hedi folgt komplett selbständig dem Mathematikunterricht, bringt sich den Stoff anhand der Schulübungen bei, schreibt regelmäßig die Hausübungen, lernt für die Schularbeiten mit. In vielen anderen Fächern müssen wir allerdings nur anhand der Schulbücher zurecht kommen.
Zugegebener Weise ist der Ansporn, in ein Lehrbuch zu schauen, zu Beginn der Reise im südlichen Afrika nicht groß.
Wir beschäftigen uns in den Hauptfächern mit homöopathischen Dosen an Lernstoff, Hedi und Mavie lesen auf den langen Autofahrten in ihren Büchern zu Biologie, Geschichte oder Geographie. Spätestens zu Weihnachten ändert sich das in Tansania. Wir legen ab jetzt immer wieder Lerntage am Strand ein, wobei sich das vielleicht entspannter anhört, als es in dem Moment ist.
Die beiden sind unglaublich konzentriert bei der Arbeit, aber manchmal ist es doch schwierig, die richtige Motivation zu finden. Da hilft es nur bedingt, wenn wir als Eltern bei zwei jungen Teenagerinnen Lehrer spielen wollen. „Du bist der schlechteste Lehrer der Welt!“, schimpft Mavie, als Stefan an einem Regentag in Lesotho die Bruchrechnung erklären will. Auch Hedi beschäftigt sich am Strand von Sansibar nur widerwillig mit dem Elektromotor: „Rotor! Stator! Den Blödsinn braucht doch wirklich niemand!”
In Zypern beginnen wir das Gelernte zu wiederholen, die letzten Wochen sind anstrengend.
Je näher der Termin der Prüfungen rückt, desto größer wird die Nervosität – vor allem bei den Eltern. Es ist der schiere Stoffumfang, der den Möchtegern Lehrern zu schaffen macht. In praktisch allen Fächern ist der gesamte Jahresstoff gesetzt, bei einigen haben die prüfenden Lehrer uns Stoffsammlungen zugeschickt. Das ist manchmal sehr hilfreich, manchmal löst es aber zusätzlichen Stress aus. Stefan sitzt kurz vor der Musikprüfung mit Hedi noch spät am Abend, um anhand von Hörbeispielen Unterschiede zwischen dem Rap der 80er Jahre an der Ostküste und der Westküste der USA zu wiederholen. Christa geht mit Mavie für die Zeichenprüfung nochmals die sieben verschiedenen Farbkontraste und die Gegensätze zwischen Tempera-, Öl- und Acrylmalerei durch. Die Köpfe rauchen.
Wir sind fast erleichtert, als es endlich losgeht.
Die Prüfungstage verlangen Hedi und Mavie einiges ab. Vieles läuft gut: Hedi kann in Chemie verzweigte Alkane benennen, Mavie in Biologie eine pflanzliche Zelle und deren Bestandteile aufzeichnen. Wir sind richtig stolz auf die beiden. Einige wenige Fächer bereiten mehr Kopfzerbrechen. Hedi muss am Freitag am Nachmittag in Digitale Grundbildung live vor der Prüfungskommission am Beamer eine HTML Seite coden und schmeißt dabei ein wenig die Nerven weg. Mavie findet nicht sofort alle Einstellungen in Word. Die beiden gehen etwas aufgelöst ins Wochenende, denn wir erfahren erst ganz zu Schluss, ob die einzelnen Prüfungen bestanden sind.
Mit jeder absolvierten Prüfung fällt Anspannung ab, bis die Mädels am Mittwoch der zweiten Woche ihr Zeugnis überreicht bekommen. Alles geschafft, sogar mit Auszeichnung, wir atmen tief durch! Damit winkt uns allen ein großer Preis für die Anstrengungen: Wir haben jetzt für den Rest unserer Strecke durch Skandinavien zweieinhalb Monate Zeit. Ganz ohne Schule und Lernstress!
Am berühmten Strand der Aphrodite an der Südküste Zyperns weht ganz schön der Wind. Zum Baden ist es uns zu kalt.
Bei Felsklippen in der Nähe von Paphos gibt es kleine Höhlen und interessante Felsformationen zu erkunden.
Im nordzypriotischen Teil der Insel fährt von Girne aus die Fähre in die Türkei.
Vom Goldenen Horn aus haben wir am Abend einen spektakulären Blick auf eine der zahlreichen Moscheen der Millionenmetropole.
Rund um den berühmten Stadtturm im Viertel Galata gibt es zahlreiche, gut besuchte, aber teure Cafés und Restaurants.
Die Yeni Moschee in der Nähe der Galatabrücke wird am Abend spektakulär begeistert.
Wie viele anderen Moscheen der Stadt ist auch der Innenraum der Sülemaniye Moschee reich verziert.
Die Moscheen Istanbuls sind auch für Touristen zugänglich. Kopftücher gibt's am Eingang zum Ausleihen. Wir haben aber sogar unsere eigenen mit.
Ab Istanbul wechseln wir vom Bus in den viel bequemeren Zug. Auf unserer Strecke durch Osteuropa nehmen wir wie hier oft auch einen Nachtzug.
An der Grenze zwischen Bulgarien und Rumänien haben wir in Ruse einen kurzen Aufenthalt. Das erste Mal sehen wir hier wieder die Donau.
In den Karpaten machen wir in Brasov einen Zwischenstopp. Wir genießen den europäischen Flair der Stadt.
Überall gibt es wieder nette Cafés, gute Restaurants und nette Fußgängerzonen. Wir sind wieder in Europa!
Die ungarische Hauptstadt ist unser letzter Stopp vor Österreich. Als wir am Burgfelsen stehen, geht gerade ein heftiges Gewitter über der Stadt nieder.
In Amstetten werden wir am Bahnhof von der Familie in Empfang genommen.
Wir freuen uns alle wieder zu sehen. Stefans Oma ist bereits 99 Jahre. Wir sind froh, sie so froh und munter zu finden.